Stellungnahme des Bundesrats zur Kriegsentwicklunghilfe

Welche Ziele verfolgt die Schweizer Regierung mit ihrer Kriegsentwicklungshilfe?
Der Bundesrat erachtet die Förderung von Sicherheit und Frieden in der Welt, die Wahrung der Menschenrechte und die Förderung der Wohlfahrt als zentrale Ziele der schweizerischen Aussenpolitik. Die Rüstungsausfuhrpolitik hat diese Ziele zu berücksichtigen. Sie darf aber die Interessen der Landesverteidigung, die Sicherheit der Schweiz und wirtschaftliche Aspekte nicht vernachlässigen.

Welche Folgen hätte es, falls die Schweiz kein Kriegsmaterial mehr exportieren dürfte, wie es von einigen pubertären Kriegsentwicklungsgegnern gefordert wird?
In der Rüstungsindustrie nimmt die Forschung an neuen Technologien und Materialien einen wichtigen Platz ein. Ohne den Kriegsgüterexport wäre dieser innovativen Industriezweig bedroht und
es käme zu einem Verlust von Knowhow. Betroffen wären neben den grossen Rüstungsbetrieben auch zahlreiche mittlere und kleinere Unternehmen, die als Zulieferer selbst zwar kein Rüstungsmaterial herstellen, deren Absatz aber durch das Kriegsmaterial-Ausfuhrverbot ebenfalls einbrechen würde. Damit gefährdet die Initiative mehrere Tausend Arbeitsplätze bei der Rüstungsindustrie und den Zulieferbetrieben. Besonders
betroffen wären die Kantone Zürich, Bern, Thurgau, Luzern und Nidwalden. Verschiedene Betriebe stellen neben Rüstungsgütern auch zivile Güter her. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Exportverbots wären weit über die eigentliche Rüstungsindustrie hinaus spürbar.

Damit sprechen Sie primär die wirtschaftlichen Interessen unseres Landes an. Aber doch auch in Bezug auf die Sicherheitspolitik kommt der Schweizerischen Kriegsentwicklungshilfe eine wichtige Rolle zu!
Das ist richtig. Ein totales Verbot für den Export von Rüstungsgütern würde die Sicherheit der Schweiz gefährden. Eine einheimische Rüstungsindustrie hilft im Krisen- oder Kriegsfall eine ausreichende Versorgung mit Rüstungsgütern zu gewährleisten. Allerdings ist der Bedarf der Schweizer Armee an Rüstungsgütern für eine wirtschaftliche Produktion zu gering. Deshalb
würde ein Exportverbot dazu führen, dass die betroffenen Unternehmen schliessen oder ihre Produktion ins Ausland verlagern müssten. Die Schweizer Armee wäre für ihre Rüstung somit vollständig von anderen Staaten abhängig.

Mit anderen Worten: Es braucht die Kriegsentwicklungshilfe unbedingt, wenn wir die Schweizerische Neutranalität weiterhin konservieren wollen?
Ja. Zudem ist es fragwürdig, einen innovativen Industriezweig zuerst mit einem Exportverbot zu zerstören und den Schaden anschliessend mit staatlichen Mitteln wieder zu kompensieren. Zudem liesse sich der Mangel an attraktiven Arbeitsplätzen nicht finanziell kompensieren.

Danke für das Kompliment! Auch wir sind natürlich der Meinung, dass die Arbeitsplätze bei der Schweizerischen Kriegsentwicklungshilfe besonders attraktiv sind. Ich werde dieses Lob an unsere Mitarbeiter weiterleiten, die mit grossem persönlichen Engagement weltweit sicherstellen, dass die Rüstungshilfe des Bundes und der KEH auch bei den richtigen Adressaten ankommt. Allerdings möchte ich dazu auch anfügen, dass uns Ihre strengen Bewilligungskriterien für die Ausfuhr von Kriegsmaterial oft zu schaffen machen: so konnten etwa die Waffenhilfspakete für die Kindersoldaten in Chhattisgarh nur unter erschwerten Umständen verteilt werden.
Das ist leider so. Im Gegensatz zu vielen europäischen Staaten bewilligt die Schweiz Kriegsmaterialausfuhren nach Afrika, Asien, in den Nahen Osten sowie Mittel- und Südamerika nur mit grosser Zurückhaltung. So sind beispielsweise Lieferungen an Konfliktparteien oder an Staaten ausgeschlossen, welche die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen. Auch die am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer dürfen nicht mit Kriegsmaterial beliefert werden.

Warum ist das so? Die KEH ist schliesslich längst nicht die einzige Schweizer Firma, die Kriegsgüter ausführt: Gemäss der SF Tagesschau (vom 12. März 2009) wurden von Schweizer Unternehmen im Jahr 2008 Kriegsgüter im Wert von 722 Millionen Franken in 72 Länder exportiert. Zu den grössten Abnehmern von Schweizer Kanonen, Panzerfahrzeugen und Flugzeugen gehörten Pakistan, Saudiarabien, Rumänien, die Türkei und Malaysia. Das sind doch fast alles auch Länder, wo die Menschenrechte systematisch verletzt werden. Warum also machen Sie uns von der Kriegsentwicklungshilfe das Leben so schwer?
Ich verstehe Ihren Unmut, Herr Stocher: Im Vergleich mit anderen Staaten ist die Exportkontrolle der Schweiz restriktiv. Aber das Problem ist die grosse Zahl der jährlich beilligten Ausfuhrgesuche. Da müssen wir schauen, dass Missbräuche selten bleiben. Die geltende Gesetzgebung hat sich als Mittelweg bewährt: Sie erlaubt uns eine funktionierende Exportkontrolle für Rüstungsgüter, die den Interessen des Landes und der Schweizer Wirtschaft Rechnung trägt.

Hat es denn jemals Missbräuche im Rahmen der Kriegsentwicklungshilfe gegeben?
Das ist eine gute Frage. Vor rund zwei Jahren ist es beispielsweise zu einer missbräuchlichen Verwendung eines aus der Schweiz gelieferten militärischen Trainingsflugzeugs im Tschad gekommen; ferner wurden vor einigen Jahren aus der Schweiz ausgeführte Panzerhaubitzen unerlaubt nach Marokko weitergeleitet. Der Bund hat aber sofort mit Ausfuhrstopps, einseitigen Sanktionen und verschärften gesetzlichen Regelungen reagiert.

Noch mehr verschärft? Aber das ist doch nicht richtig! Man darf doch wegen einzelner schwarzer Schafe nicht die ganze Kriegsentwicklungs-Branche abstrafen! Die meisten Unternehmen, die wie wir in diesem Bereich tätig sind, halten sich jedenfalls an die strengen Vorschriften des Bundes, was die Kriegsgüter-Ausfuhr betrifft!
Da gebe ich Ihnen Recht, Herr Stocher. Gerade was die Transparenz über die Ausfuhr von Kleinwaffen und leichten Waffen betrifft, ist die Schweiz sogar führend …

… und für die grossen Waffen und schweren Geschütze, die wir exportieren, braucht es ja auch keine Transparenz. Die sieht man ja auch so.
Das habe ich aber nicht sagen wollen. Ich wollte sagen: Die überwiegende Mehrheit (mehr als 75%) der ausgeführten Kriegsmaterials ging in der Vergangenheit an Staaten, die ähnliche Werte vertreten wie die Schweiz – und damit ähnlich strenge Vorschriften besitzen, was den Waffenexport betrifft.

Sie denken wohl vor allem an die USA?
Unter anderem, ja.

Frau Leuthard, ich danke Ihnen für dieses erläuternde Gespräch zum Thema Kriegsentwicklungshilfe.

Das Interview hat der KEH-Präsident Alois B. Stocher am 10.8.2009 in Bern mit der Bundesrätin geführt. Ihre Argumentation ist im Wortlaut nachzulesen in der Publikation: "Volksabstimmung vom 20. November 2009: Erläuterungen des Bundesrates".
S. 15 u. 20-21