Arbeitsplatz oder Menschenleben? Eine ethische Güterabwägung auf Grundlage der christlich-utilitaristisch geprägten Moralvorstellungen der real exisitierenden Eidgenossenschaft

von Prof. Dr. Kohldammer, Wirtschaftsethik, Universität Basel

Viele Idealisten, Pazifisten und Menschenrechtsaktivisten ziehen vorschnell den Schluss, dass sich ein Menschenleben in seinem Wert nicht beziffern lasse. Dies ist aber ein typisches Aequat-Causa-Effectum, ein Fehlschluss also, wo der Wunsch der Vater des Gedankens ist.

Wie unsere Forschungsergebnisse zeigen, lässt sich der Wert eines Menschenlebens nämlich sehr exakt berechnen.

Menschenwerte: Grundlagen der Berechnung
Der Wert eines Menschen besteht ökonomisch betrachtet in nichts anderem als in seiner Nützlichkeit als Arbeitskraft, d.h. dem Wert all der Produkte und Leistungen, die er für sich selbst und andere erbringt. Dieser Wert lässt sich für jeden Menschen genau bestimmen.

Faktisch existiert die Arbeitskraft nur als Anlage eines lebendigen Organismus (= Mensch, menschlicher Körper). Ihre Produktion setzt demnach die Existenz dieses Organismus voraus. Die Produktion der Arbeitskraft besteht sodann in der Reproduktion und Erhaltung des Organismus. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit. Mit anderen Worten:
Der Wert eines Menschen entspricht dem Wert der zu seiner Erhaltung notwendigen Lebensmittel.

Die Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden je nach den klimatischen und anderen natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes.

Auch für den Laien wird damit auf den ersten Blick erkennbar, dass die Menschen in Entwicklungsländern deutlich weniger wert sind als Menschen in einem hochentwickelten Industrieland wie der Schweiz. In einem Land wie Ruanda reichen nämlich schon ein paar Gramm Reis und eine funktionierende Waffe, um die Lebenserhaltung eines ganzen Dorfes während einer Woche sicherzustellen. Um hingegen in der Schweiz die Minimalexistenz sichern zu können, benötigt jeder Einzelne täglich ein breites Angebot an qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln, Kleidungsmitteln,  Haushaltsmitteln, Kommunikationsmittelm, Gratismedien, Luxusgütern, Pflegemitteln und Kultur.

Wissenschaftlich gesehen geht es nun aber darum, diesen Wert empirisch zu ermitteln und zu quantifizieren: Die Frage ist also nicht mehr, ob, sondern wie viel mehr das Leben eines Schweizers wert ist als z.B. das Leben eines Durchschnittsinders.

In unseren aufwändigen Studien zur Humanwertanalyse, die unser Institut zusammen mit namhaften Exponenten der Schweizer Wirtschaft und Politik entwickelt hat, ist es uns gelungen, den durchschnittlichen Menschenwert von über 2864 Personen aus 98 Ländern im Hinblick auf 37 ökonomische Kennzahlen (z.B. Arbeitskraftanteil am Bruttosozialprodukt, Verbrauch an natürlichen Ressourcen, Kosten zur Deckung von Primärbedürfnissen etc.) zu ermitteln und miteinander zu vergleichen. Die Interpretation der anschliessenden Faktorenanalyse hat Erstaunliches zutage gefördert.

Schweizer Frauen sind 10'000 mal mehr wert
So kommt z.B. ein durchschnittlicher Knabe (7) in Kambodscha, der als Sohn eines Reisbauern aufwächst, auf einen Menschenwert von 1.472 mw. Angesichts der generell schlechten Arbeitslage und instabilen ökonomischen Situation in Kambodscha mag dieser tiefe Wert grundsätzlich nicht  erstaunen. Spannender wird es, wenn man die Zahl vergleicht mit dem Menschenwert einer jungen Schweizer Frau (24), die als Assistenzhilfe in einer Grossfirma arbeitet: Hier ist der Menschenwert mit 10483.233 mw nicht nur einfach doppelt so hoch, sondern fast 10'000-mal höher!
Da sich bei allen untersuchten Entwicklungsländern ein ähnlich krasses Verhältnis gezeigt hat, sind wir zum folgenden  Schluss gelangt: Der durchschnittliche Schweizer, die durchschnittliche Schweizerin sind generell mehr wert als alle anderen Menschen auf der Welt (Ausnahme: Marshallinseln, Tuvalu und Nauru – diese Kleinstaaten wurden nicht in die Untersuchung miteinbezogen.) Diese Zahlen wurden übrigens auch in den folgenden  Replikationsstudien von Myer et al. (2006),  Kudeski (2007) und Straws (2008) eindrücklich bestätigt.

Ethische Konsequenzen
Aufgrund des christlich-utilitaristischem Wertefundaments unserer Gesellschaft ergeben sich nun aber weiterreichende Konsequenzen. Eine utilitaristische Ethik betreiben bedeutet ja, dass wir als Menschen nicht nur einfach egoistisch für unser eigenes Wohl schauen, sondern bei all unseren Entscheidungen darauf achten, ob sie für die grösstmögliche Zahl von Menschen den grösstmöglichen Nutzen – d.h. das grösstmögliche Glück für ALLE Menschen auf der Welt – bringen.

Brisant wird dieser Sachverhalt nun dadurch, dass der Gebrauchswert einer durchschnittlichen Schweizer Frau zu einem erheblichen Teil durch ihren Arbeitsplatz bestimmt ist. Das bedeutet: Wenn die Frau ihren Arbeitsplatz verliert, reduziert sich ihr Menschenwert fast um die Hälfte und liegt dann mit 5649.34 mw etwa auf dem Level einer haitischen Baumwollpflückerin mit dreissig  Jahren Berufserfahrung!

Daher ist es notwendig, den Arbeitsplatz an sich als Wert ernstzunehmen und mit dem Menschenwert in Beziehung zu setzen. Tut man dies, gelangt man zu den folgenden Ergebnissen:

1. Ein durchschnittlicher Arbeitsplatz im mittleren Kaderbereich in einem Schweizer Unternehmen entspricht wertmässig zwischen 158 bis 170 Menschenleben in Drittweltländern.

2. Dieser Wert verdoppelt sich, wenn es sich bei den Probanden in den Entwicklungsländern um Kinder handelt.

3. Auch der Wert eines schlecht oder nur wenig qualifizierten Arbeitsplatzes in der Schweiz liegt noch immer deutlich über der Summe der Menschenwerte von mehr als 80 Kindern in  Ländern wie Bolivien, Ruanda oder Papua-Neuguinea! Wieder gilt dabei, dass sich diese Schere noch weiter öffnet
(a) falls es sich um einen besonders innovativen Industriezweig in der Schweiz (z.B. Rüstungsindustrie) handelt (Faktor 1.34)  oder
(b) falls die Kinder in den Entwicklungsländern noch so jung sind, dass sie nicht als Waffenkraft eingesetzt werden können (Faktor 1.43).

All diese Ergebnisse sind (mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von über 95 Prozent) hoch signifikant. Wenn nun aber die ethische Forderung nach dem grösstmöglichen Glück möglichst aller Menschen auf dieser Erde (wie es auch die Menschenrechtsaktivisten in aller Welt fordern)  keine leere Floskel bleiben soll, dann muss die Schweiz um jeden Preis verhindern, dass weitere Arbeitsplätze vernichtet werden! Es darf nicht sein, dass bei uns Arbeitsplätze gefährdet werden, um in der Dritten Welt Menschenleben zu schützen, die viel weniger wert sind als diese Arbeitsplätze!

Ausblick auf unsere künftige Forschungstätigkeit
Bei der statistischen Erhebung der Daten für die Berechnung der Arbeitswerte konnte der Nutzen einer Schweizer Arbeitsstelle für die Zuliefererfirmen noch zu wenig mitberücksichtigt werden.  In unserer weiteren Forschungstätigkeit möchten wir unsere Daten im Hinblick auf diesen Messfehler berichtigen. Zu vermuten ist, dass sich die Schere zwischen Arbeitsplatzwert und Menschenwert dann noch mehr auftun könnte.

Mit dem "Nutzen für Zuliefererfirmen" ist übrigens folgender Sachverhalt gemeint (das illustrative Beispiel verdanke ich einem Fachkollegen): Nehmen wir an, Sie würden als Konzernleiter ein gut funktionierendes Konzentrationslager betreiben. In diesem Falle ist es ökonomisch gesehen klar, dass nicht nur alle direkten Angestellten (Sicherheitspersonal, Putzpersonal etc.) von der gewährleisteten Stellensicherheit profitieren, sondern auch all die externen Firmen, die z.B. das Gas bringen oder das Verbrauchsmaterial  entsorgen. Falls es sich bei diesem Verbrauchsmaterial um Menschen mit einem sehr tiefen Menschenwert handelt (im Bereich mw<100 / Pers.), ist aus ethisch-utilitaristischer Sicht nichts gegen ihr Betriebskonzept einzuwenden, solange die Verbrauchsmaterialmenge nicht astronomisch ansteigt. Erst in letzterem Fall ist es theoretisch möglich, dass der Schaden den Nutzen der gesicherten Arbeitsstellen insgesamt übersteigen könnte. Da dieses Szenario aber rein rechnerisch praktisch unmöglich ist, bleibt das utilitaristische Prinzip vom grösstmöglichen Glück für die grösstmögliche Menge aller Menschen bewahrt. Natürlich scheint das Beispiel mit dem Konzentrationslager auf den ersten Blick etwas weit hergeholt und deplatziert. Es gibt schliesslich näher liegendere Beispiele wie unsere Rüstungsindustrie oder die Kriegsentwicklungshilfe, wo es sich ebenso gut zeigen lässt, dass es auch in der Schweiz nicht darum gehen kann, was die Arbeitsstellen sichert. Hauptsache, sie werden gesichert!